Digital Success

DR. MED. MANUELA JACOB-NIEDBALLA erklärt, wie die Digitalisierung als Leistungsbooster wirken kann.

Frau Dr. Jacob-Niedballa, warum empfinden viele Menschen das digitale Zeitalter als besonders stressbelastet?

Wir leben in einer Zeit der Globalisierung, Informationsflut und permanenten Erreichbarkeit. Reagiert man auf einen Post in den sozialen Medien nicht sofort, kommt oft ein digitaler Rüffel. Auch im Beruf erwartet man kurze Reaktionszeiten. Manche Firmen verlangen von ihren Mitarbeitern, innerhalb von einer Stunde auf jede E-Mail zu reagieren. Das macht ein konstruktives und kreatives Arbeiten nahezu unmöglich.


Inwiefern wird durch die permanente Erreichbarkeit die Arbeitsleistung verringert?

Das hängt mit der Struktur unseres Gehirns zusammen. Der neueste Anteil unseres Gehirns liegt in der grauen Substanz im Vorderlappen, der so genannte präfrontale Kortex. Dieser Bereich ist für alle Entscheidungen und Priorisierungen verantwortlich. Er ist effektiv – aber schnell ermüdbar. Bereits nach einer Stunde ist die Kapazität des präfrontalen Kortex erschöpft. Sie können diese Zeit auf zwei Arten verlängern: Die erste ist, Zucker zuzuführen, was sowohl für Stoffwechsel als auch Gewicht auf Dauer ungünstig ist. Die zweite Möglichkeit ist, das Gehirn optimal zu nutzen. Gehirngerechtes Arbeiten ist für jeden von uns lernbar, in meinen Seminaren und Workshops biete ich den Teilnehmern die Top-Tipps zum praktischen Umgang und zur Leistungssteigerung. 


Ein zentraler Punkt ist, Zeit und Umfeld für konzentriertes Arbeiten einzurichten. Jeder von uns kann sich 20 Minuten lang effektiv fokussieren. Diese Aufmerksamkeitsspanne kann man trainieren wie Gehirn- Jogging. Wichtigste Voraussetzung ist, dass es absolut keine Störungen geben darf. In Studien haben sogar Harvard-Absolventen unter permanenter medialer Erreichbarkeit schlechtere Ergebnisse erbracht als achtjährige Grundschüler. Wir können uns unsere Aufmerksamkeit wie eine geistige Bühne vorstellen auf der sich unsere gedanklichen Aufgaben wie Schauspieler bewegen. Mehr als ein Schauspieler auf der Bühne lenkt uns ab, ab drei oder vier Schauspielern (sprich drei oder vier Gedanken, die wir parallel bewegen) sind wir überfordert. Stellen Sie Ihr Smartphone auf Flugmodus und sorgen Sie dafür, dass auch von außen weder Telefonate, noch E-Mails oder Besucher stören. Bei Einzelbüros helfen Absprachen zur telefonischen Vertretung, Tür zu und ggf. ein Schild „Bitte nicht stören“.

Falls Sie im Großraumbüro arbeiten, buchen Sie 30 Minuten ein Konferenzzimmer für sich und Ihre Aufgabe. Ich kenne Firmen und sogar Schulen, die Kopfhörer verteilen für ungeteilte Konzentration. Wechseln Sie zwischen Tätigkeiten mit hohen Konzentrationspotenzial und Tätigkeiten mit Routine wie Ablegen, Sortieren etc. Diese Routinearbeiten verbrauchen nicht so viel Energie, da sie über ältere Bereiche unseres Gehirns, die Basalganglien, geregelt werden. Außerdem entlastet es das Gehirn, wenn Sie Tätigkeiten blockweise bearbeiten. Legen Sie am Morgen fest, wann sie welche Arbeit wo und in welchem Zeitrahmen durchführen. Neulich führte mich ein Bankvorstand durch sein Gebäude und zeigte mir dann seine Chefsekretärin mit den Worten: „Das ist meine beste Mitarbeiterin!“ Die Dame saß in ihrer Mittagspause am Schreibtisch, aß ihr Butterbrot, checkte die E-Mails und gewährleistete die telefonische Erreichbarkeit. Glauben Sie wirklich, dass das auf Dauer seine beste Mitarbeiterin ist? Definitiv nicht.

Planen Sie ungestörte Pausen ein. Unsere Leistung fällt tagsüber ab, das können wir nur durch effektive Pausen vermindern. Nehmen Sie sich alle 2 Stunden eine kurze Auszeit, holen Sie sich einen Kaffee und gehen Sie ein paar Schritte – auch bei langen Autofahrten!

Spätestens nach 6 Stunden sollten Sie 30 Minuten reine Pausenzeit einplanen. Essen Sie in Ruhe etwas und bewegen Sie sich 10 bis 15 Minuten. Vor allem Bewegung in der freien Natur hat einen Boostereffekt auf Ihre Kreativität und Leistung. Die Kreativitätsforschung hat sogar herausgefunden, dass das Betrachten von Natur aus dem Bürofenster oder von Landschaftsphotos in Ihrem Büro eine Steigerung der Leistungsfähigkeit bringt. Sie sprechen in Ihren Artikeln häufig über E-Mail- Hygiene, was verstehen Sie darunter?

Privat wie beruflich ist eine der wichtigsten Fragen: „Wie gehe ich mit eingehenden Nachrichten um?“ Laut Studien bekommen Sie umso mehr Nachrichten gesendet, je schneller Sie diese beantworten. Klären Sie, welche E-Mails tatsächlich nötig sind für die Erledigung Ihrer Aufgaben. Alle anderen E-Mails, Verteiler und Newsletter sollten ausgemistet werden. Vereinbaren Sie Zeiten zur Online-Präsenz und treffen Sie Absprachen zum generellen Umgang mit Nachrichten. In einigen Firmen wird nach 18:00 Uhr keine E-Mail mehr versendet. Ich habe mit Großkonzernen zusammengearbeitet, die eine No-bad-Mails Politik eingeführt haben. Am Freitag ab 13:00 Uhr oder vor Feiertagen werden keine E-Mails mehr versendet, erst recht keine Mails mit negativem Inhalt – wenn die Mitarbeiter keine Chance haben, vor Montagmorgen etwas Konstruktives zu unternehmen. Das senkt das Stresslevel aller Beteiligten.

Drücken Sie sich in E-Mails unmissverständlich aus! Bei einem persönlichen Gespräch oder Telefonaten haben wir zu dem reinen Inhalt unserer Botschaft zusätzliche Informationskanäle wie Körpersprache, Mimik und Tonfall. Dies gibt derselben Botschaft eine klare Bedeutung. Häufig bewirkt eine an sich neutral gemeinte Formulierung beim E-Mail-Empfänger eine völlig unerwartete Reaktion. Greifen Sie öfter zum Telefon oder halten eine Videokonferenz ab – vor allem bei kritischen Themen. Gibt es Unklarheiten, gehen Sie zur Abwechslung bei Ihrem Kollegen vorbei, so lässt sich manches Missverständnis schneller ausräumen oder vermeiden. Falls Sie doch eine Kritik-Mail schreiben, verfassen Sie diese erst am nächsten Tag – dann sind die Emotionen schon etwas heruntergekocht.

Facebook, Twitter, Instagram, Snapchat – der digitale Kontakt ist omnipräsent. Warum haben die sozialen Netzwerke einen solchen Sog und wie gehen wir am Besten damit um?

Menschen möchten beliebt sein und gelobt werden. Das limbische System ist unsere Emotionsküche, hier sitzen Liebe, Hass, Angst und Freude. Durch Social-Media-Kontakte mit positiven Chats, Tweets und Likes wird unser Belohnungssystem aktiviert. So funktionieren auch viele Online- Spiele. Wir haben dann das Gefühl, einen schnellen Erfolg zu erzielen, das erklärt auch unsere Ablenkbarkeit. Wie häufig ist es Ihnen bereits passiert, dass im Gespräch mit einem Freund oder Geschäftskollegen dieser das Smartphone gezückt hat und auf eine Nachricht geantwortet hat? Dieses permanente Multitasking ist nicht nur in der Interaktion schwierig, sondern bewirkt auf Dauer, dass wir uns ein Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom antrainieren.

Durch die sozialen Medien bekommen wir nicht nur Bestätigung und Erfolg sondern teilweise auch Beschimpfungen und Neid. In jedem Fall neigt der Nutzer von Social Media dazu, sein Leben mit dem zu vergleichen, was die Anderen ins Netz stellen. Auch wenn wir wissen, dass hier vieles geschönt ist, werden Menschen durch dieses Vergleichen eher traurig und deprimiert. Die Universität von Pennsylvania hat nachgewiesen, dass Studienteilnehmer, die maximal 30 Minuten pro Tag in den sozialen Medien verbracht haben nach drei Wochen bereits glücklicher und weniger deprimiert waren als Vergleichspersonen, die eine unbegrenzte Zeit soziale Medien genutzt haben. Es ist auch erwiesen, dass der persönliche, reale Kontakt in einem guten sozialen Umfeld Stress abpuffert. Das digitale Zeitalter bietet uns viele Chancen und Herausforderungen. Damit Sie die Digitalisierung für sich als Leistungsbooster nutzen, sind ein bewusster Umgang mit den digitalen Medien, und eine möglichst gehirngerechte Nutzung sinnvoll. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim Umsetzen der Top-Tipps, bleiben Sie gesund.